Heide Lutosch – Kinderhaben (Buch)

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Allgemein

Das „Kinderhaben“ ist auch in diskussionsfreudigen, fortschrittlichen Kreisen ein merkwürdiges Tabuthema. Kinder hat man, aber sie sollen keinen allzu großen Raum der eigenen Persönlichkeit einnehmen. Im Arbeitskontext merkt man sie am besten gar nicht. Und in privaten Gesprächen sind „Kinderthemen“ verpönt, weil man sich ja nicht nur über das Kind definieren will.

Kinder sind langsam, irrational, nonverbal, sprunghaft, spontan, laut, uneinsichtig, verträumt und stur, und wer ihnen das nicht viel zu früh und viel zu hart austreiben will, braucht viel Geduld, Zeit, Geld, Ruhe und Schlaf.

Heide Lutosch – Kinderhaben, Kapitel „Schöner scheitern“

Dabei nehmen Kinder natürlich eine enorm große Rolle im Leben ein. Sie sind nicht gut mit vielen Berufen vereinbar. Es wäre hilfreich, viel mehr über Kinder zu sprechen. Weil es den Eltern helfen würde, weil es den Kindern helfen würde und – jetzt wird es pathetisch – Kinder unsere Zukunft sind. Sie sind nicht nur Privatvergnügen von Menschen, die kleine Latzhosen süß finden oder sonst nichts besseres zu tun haben. Auch Menschen, die selbst keine Kinder haben, sind darauf angewiesen, dass die Gesellschaft irgendwie fortbesteht wenn sie alt sind und das kann nur funktionieren, wenn es dann noch ein paar junge Menschen gibt.

„Kinderhaben“ ist ein Essay von Heide Lutosch, der als kleines, rund 100 Seiten langes, Büchlein erschienen ist. Sie schreibt über vieles, das schief läuft in sozialen Konstrukten, wenn es um Kinder geht. In Partnerschaften, in der Beziehung zu den eigenen Eltern, in Freundeskreisen und „der Gesellschaft“.

Gerade für Partnerschaften sind Kinder ein massiver Einschnitt, der häufig dazu führt, in ein deutlich traditionelleres Rollenbild zu verfallen, als es vorher der Fall war und als beide Partner es sich vorher gewünscht hätten. Zwar ist vieles besser geworden, was die Präsenz von Vätern in Familien angeht, aber vieles bleibt eben dann doch an den Müttern hängen – vor allem die „unsichtbaren“ Aufgaben. Diese und andere Dynamiken innerhalb einer Partnerschaft mit Kind(ern) analysiert Lutosch sehr präzise und erfreulich anschaulich.

Ich malte mir aus, wie schön es wäre, an einem Dienstagmorgen beim Frühstück, genau dann, wenn das erste Glas Milch umkippt und klar wird, dass es kaum noch möglich ist, pünktlich zum Morgenkreis im Kindergarten zu sein und auf der Arbeit keine neuen Minusstunden anzusammeln – genau in diesem Moment also mit freundlichem Nicken die Küche zu verlassen. Nicht etwa mit schlechtem Gewissen, sondern erfüllt von der Wichtigkeit der Aufgaben und Kämpfe, die vor mir liegen. Mit der Bewunderung und Dankbarkeit meines Ehemannes im Rücken, gehe ich also in die Welt: darf gestalten, mich entfalten, mich messen und entwickeln.

Heide Lutosch – Kinderhaben, Kapitel „Patriachin“

Darüber hinaus geht sie aber auch auf scheinbare Randaspekte des Mutterseins ein. Etwa der Frage, warum es der Müttergeneration vor der heutigen Müttergeneration einfacher gelang, Kinder sauber, gut gekleidet und gut gelaunt zu einer Familienfeier mitzubringen. Klar, viele Mütter arbeiteten damals nicht. Damit waren sie oft nicht glücklich, aber für so etwas hatten sie mehr Zeit. Statt das so zu akzeptieren, wird auch von den heutigen Müttern von Verwandten und auch sich selbst erwartet, dass die Kinder sauber, gut gekleidet und gut gelaunt auftauchen. Das ist an einem Freitag Abend nach einer 30-Stunden-Woche aber ungleich schwieriger. Das sorgt für Verzweiflung.

Eine Frau, die ihren eigenen Gedanken nachhängt, ihre Ruhe haben will, sich nicht unterbrechen lässt, schweigsam ist, die Tür zumacht, liest, sich konzentriert, sich voll und ganz wie eine Erwachsene verhält, über ihre eigenen Themen spricht, an ihr Fortkommen denkt, an ihr Vergnügen, gar an Sex – das alles ist schon verstörend genug. Aber eine Frau, die all das in Anwesenheit ihrer Kinder tut und es auch noch freimütig vor sich und anderen zugibt, ist… ein Affront, ein Tabubruch, ein Ding der Unmöglichkeit. Nun ersetze man das Wort „Frau“ in den letzten beiden Sätzen durch das Wort „Mann“ – und es wird deutlich, wie weit der Weg noch ist.

Heide Lutosch – Kinderhaben, Kapitel „Sich ändern“

Ich möchte den Essay wirklich jeder und vor allem jedem in einer heterosexuellen Paarbeziehung ans Herz legen, der Kinder hat oder Kinder haben will. Lutoschs Analyse ist direkt aber empathisch. Männer können von ihr noch einiges lernen und Frauen werden sich hoffentlich etwas besser verstanden fühlen.

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