Fatoni – Wunderbare Welt (Album)

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Als Rapper in Würde zu altern ist nicht einfach. Zwar ist Rap heute natürlich total „im Mainstream angekommen“ (gut abgefloskelt), aber es bleibt eine Jugendkultur. Viele Rapper, die heute im fortgeschrittenen Alter sind haben daher schon etliche Rap-Jahre hinter sich, haben voller Überzeugung dummes Zeug erzählt (was man als junger Mensch natürlich noch darf), peinliche Frisuren getragen und mit den falschen Leuten abgehangen.

Wenn man sein Ding dann später all zu sehr durchzieht, entwickelt man sich meist zur Karikatur seiner selbst. Eine traurige Gestalt, die versucht, die alten Geschichten von der Straße zum hundertsten Mal aufzuwärmen, während man Nachts in der gemütlichen Vorstadtvilla bei Frau und Kind schläft. Wenn man andererseits zu sehr mit seinem Vorleben bricht und „Erwachsenenmusik“ machen will, wird es leider auch meistens peinlich.

Dieses Spannungsfeld ist eines der Themen von Fatoni, dem es – so viel vorab – sehr gut gelingt, ein erwachsener Rapper zu sein. Mittlerweile auch auf die 40 zugehend, ist er seit über 20 Jahren im Rap-Geschäft unterwegs und hat es dabei geschafft, sich neu zu erfinden, ganz ohne dass es irgendwie unangenehm geworden wäre. Dabei hilft, dass er sich durchaus bewusst ist, dass nicht alles großartig war, was er früher gesagt und gedacht hat:

Ich war jung, ich war dumm, doch ich hielt mich für so schlau / Ignorant, arrogant, eine wirklich dumme Sau / Könnte ich mein junges Ich noch einmal treffen, warum nicht? / Abеr dann nur mit der Handfläche ins Gesicht

Fatoni – „Mein junges Ich“

Die Geburt des „neuen“ Fatoni war das Album „Yo, Picasso“ zusammen mit einem Deutschlands feinster Boombap-Bastler Dexter. Der Intro-Track Benjamin Button setzte damals schon den Ton:

Guck mal all die andern, die waren früher besser / Doch bei mir ist es anders, ich war früher schlechter / Mit Anfang 20 war ich wack / Aber guck mal jetzt, ich werde langsam perfekt

Fatoni – „Benjamin Button

Das klingt jetzt so, als würde sich Fatoni nur an seinem früheren Ich abarbeiten. Das ist aber nicht der Fall. Der Typ ist ein vielseitiger Rapper alter Schule mit frischem Können. Er beherrscht die etwas aus der Mode gekommenen Storytelling-Texte gut: „Pete“ beschreibt das Leben des ersten Beatles-Drummers Pete Best, der früh durch Ringo Star ersetzt wurde und danach ein sehr wechselvolles Leben führte. Er kann Battle-Rap: Auf „Links Rechts“ werden verbale Watschen an die Kollegen verteilt. Und er kann nachdenkliches: „König der Zweifler“ mit Neo-Klassik-Pianist Lambert reflektiert über die Unfähigkeit sich zu entscheiden, mit dieser FOMO ist er ja wirklich nicht alleine.

Manchmal gleitet es mir etwas zu sehr ins spaßig-alberne ab, etwa wenn auf „Fröhlich“ die Comic-Ente Alfred Joducus Kwack gesamplet wird oder mit „Dumm“ mit Deichkind der Song kommt, der etwas zu eindeutig für die „Jetzt springen wir auf dem Festival alle rum“-Situation geschrieben wurde. Ist jetzt alles nicht wirklich schlimm und stört auch nicht, aber damit ist das Album dann leider für mich nicht konstant großartig. Das machen Songs wie die Trennungs-Hymne „Danke, dass du mich verlassen hast“ oder das biografische „Mit dem Taxi in die Therapie“ aber auch wieder wett.

Dazu hat Fatoni einen ausgesprochen guten Beat-Geschmack und mit Leuten wie Dexter und Torky Tork auch Garanten für gute Songs.

Antonia Baum – Siegfried (Buch)

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Es gibt Autorinnen und Autoren, von denen lese ich eigentlich alles – einfach weil sie so wahnsinnig gut schreiben. Eine davon ist Antonia Baum. Früher hat sie im Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung geschrieben, mittlerweile ist sie im Feuilleton der ZEIT. Ihre Themen drehen sich um die interessanten Themen der Welt, also Rap, Feminismus, Gesellschaft und Familie. Ich freue mich immer, wenn ich ihren Namen über oder unter einem Artikel lese (egal ob über Haftbefehl oder Elena Ferrante) und habe auch alle ihre Bücher gelesen. Außer das über Eminem, weil ich Eminem leider so uninteressant finde, dass ich nichtmal von Antonia Baum etwas über ihn lesen möchte.

Ihr Schreibstil ist einzigartig. Eindeutig Rap-geprägt, schreibt sie sehr umgangssprachlich, eher in einer Sprech-Sprache. Sie schafft es offensichtlich, ihre Redakteur*innen und Lektor*innen davon zu überzeugen, die ganzen Füllwörter, Wendungen, Einschübe drinzulassen, die einem Journalistenschulen und Schreibratgeber eigentlich verboten haben, weil sie angeblich die Leser*innen verwirren. Antonia Baums Sätze sind auch häufig ein bisschen zu lang und zu verworren. Aber ich mag es und bin damit offensichtlich nicht alleine.

„Extrem unwahrscheinliche Situation eigentlich: Ein junger Mann (Jahrgang 1986), dessen kurdischer Vater aus Armut von der Türkei nach Deutschland floh, um hier ein besseres Leben zu führen, sitzt heute (teure Lederjacke, Uhr, Schuhe, alles teuer) an einem Glastisch in der Universal-Chefetage und beantwortet dieser Zeitung Fragen.“

typischer Antonia Baum-Satz aus einem Artikel der FAS über Haftbefehl

„Siegfried“ heißt ihr neues Buch, ihr mittlerweile sechstes. Wenn man ein Überthema suchen will, ist es wahrscheinlich „Mental Load“. Ein Begriff, der in den letzten Jahren ein Kernthema bei der Betrachtung von Familienkonstrukten geworden ist. Es geht darum, dass selbst bei Paaren, die sich vornehmen und ausprobieren, Kindererziehung und Haushalt einigermaßen gleichverteilt zu gestalten, viele der unsichtbaren Dinge trotzdem bei der Frau hängenbleiben. Vor allem Sachen, an die man denken muss: Geschenke für Kindergeburtstage, neue Schuhe in der richtigen Schuhgröße fürs Kind, Aussortieren der zu kleinen Hosen im Kleiderschrank, das leere Waschmittel und so weiter.

Bei der namenlosen Protagonistin in „Siegfried“ kommen auch noch Geldsorgen hinzu, ein abwesender, Bar-jobbender Freund und eine Schreibblockade der Schriftstellerin. Als das alles zusammenkracht, geht sie morgens aus dem Haus und fährt in die Psychiatrie. In der Reflektion darüber, wie sie da eigentlich gelandet ist, geht es in Rückblenden um ihr Familienleben vor ihrer eigenen Familie.

Da ist der patriarchalische Stiefvater (Siegfried), Macher und Versorger, Mann alter Schule und das Gegenteil ihres liebenswerten aber verpeilten Partners Alex.

„Saß Siegfried mir irgendwo gegenüber (es waren meist Restaurants und Hotels), dann lagen sein Telefon (erst Blackberry, später das neuste iPhone), der Wirtschaftsteil (auf Buchformat zusammengefaltet) und manchmal ein oder mehrere Schlüssel (Hotelzimmer, Mietwagen, sein Wagen) vor ihm. Es muss für ihn schwer einzuordnen gewesen sein, dass bei Alex nichts lag.“

Siegfrieds Mutter Hilde, bei der sie bleibt oder bleiben muss, wenn ihre Eltern verreisen. Hilde ist die Nazi-Oma, die sie zur Disziplin beim morgendlichen Schwimmtraining antreibt und Abends mit ihr händchenhaltend die Tagesschau guckt.

Und natürlich ihre eigene Mutter, eine Französin, etwas lebensuntauglich, unsicher im Umgang mit ihrer Tochter, die sich beim Versuch ihr Leben in Ordnung zu halten in einen Putzzwang verfallen ist.

All das erzählt viel davon, wie Familien damals funktionierten und wie der Versuch, es heute anders zu machen, scheitern kann. Wen das interessiert, dem kann ich empfehlen, „Siegfried“ zu lesen.

Larry June & The Alchemist – „The Great Escape“

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Höchst entspannter Selbstoptimierungs-Rap mit Tipps zum Generieren von passivem Einkommen fließt über atmosphärische Beats. Das ist das Album „The Great Escape“ von Larry June und The Alchemist

Merchandise, my n*gga, you gotta keep the merchandise
Work it right, get it to the people, push a hard line
Start a corporation and bet on yourself every time
Put ‚em on payroll, make sure yo‘ taxes right

„Turkish Cotton“

Der Rap-Produzent The Alchemist ist ein Phänomen. Ich mag so gut wie alles was er produziert und das ist wahnsinnig viel. Wenn man im entsprechenden Wikipedia-Artikel seine Produktionen zusammenzählt, hat er alleine im vergangenen Jahr 53 Lieder mit Leuten wie Roc Marciano, Benny the Butcher und Action Bronson veröffentlicht. Und die meisten davon sind richtig gut.

Nun also ein ganzes Album mit Rapper Larry June aus San Francisco. Eine auf den ersten Blick nicht unbedingt naheliegende Kollaboration, bei der sich aber schon bei den vorab veröffentlichten Singles (unter anderem „60 Days“ mit schönem Video) gezeigt hat, dass sie gut funktioniert. Larry June ist sicher nicht der vielseitigste oder technisch spannendste Rapper der Welt, aber seine recht monotone Rap-weise vermischt sich mit den reduzierten, samplelastigen Ambient-Beats von The Alchemist zu einem sehr stimmigen Sound-Bild.

Was Larry June zu erzählen hat, ist schon etwas schräg: Er ist ein materialistischer Typ, es geht viel um Geld und Luxusartikel, aber dabei ist er spezifisch und detailliert, was dann auch wieder nerdy ist. Larry lebt das gute Leben und will, dass seine Zuhörer ihm dabei folgen. Unterstützt wird er dabei von erwartbaren Feature-Gästen als dem Alchemist-Umfeld wie Action Bronson, Boldy James und Evidence, aber auch überraschenderen Gästen wie Slum Village, Big Sean und The Alchemist selbst am Mikrophon.

Eine kleine Doku gibt Einblicke in den Schaffensprozess hinter diesem Album in Malibu. Und der sieht so aus, wie das Album klingt. Entspannt, gute Vibes, gutes Leben und sehr viel Weed.

Ein schönes Album!

Heide Lutosch – Kinderhaben (Buch)

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Das „Kinderhaben“ ist auch in diskussionsfreudigen, fortschrittlichen Kreisen ein merkwürdiges Tabuthema. Kinder hat man, aber sie sollen keinen allzu großen Raum der eigenen Persönlichkeit einnehmen. Im Arbeitskontext merkt man sie am besten gar nicht. Und in privaten Gesprächen sind „Kinderthemen“ verpönt, weil man sich ja nicht nur über das Kind definieren will.

Kinder sind langsam, irrational, nonverbal, sprunghaft, spontan, laut, uneinsichtig, verträumt und stur, und wer ihnen das nicht viel zu früh und viel zu hart austreiben will, braucht viel Geduld, Zeit, Geld, Ruhe und Schlaf.

Heide Lutosch – Kinderhaben, Kapitel „Schöner scheitern“

Dabei nehmen Kinder natürlich eine enorm große Rolle im Leben ein. Sie sind nicht gut mit vielen Berufen vereinbar. Es wäre hilfreich, viel mehr über Kinder zu sprechen. Weil es den Eltern helfen würde, weil es den Kindern helfen würde und – jetzt wird es pathetisch – Kinder unsere Zukunft sind. Sie sind nicht nur Privatvergnügen von Menschen, die kleine Latzhosen süß finden oder sonst nichts besseres zu tun haben. Auch Menschen, die selbst keine Kinder haben, sind darauf angewiesen, dass die Gesellschaft irgendwie fortbesteht wenn sie alt sind und das kann nur funktionieren, wenn es dann noch ein paar junge Menschen gibt.

„Kinderhaben“ ist ein Essay von Heide Lutosch, der als kleines, rund 100 Seiten langes, Büchlein erschienen ist. Sie schreibt über vieles, das schief läuft in sozialen Konstrukten, wenn es um Kinder geht. In Partnerschaften, in der Beziehung zu den eigenen Eltern, in Freundeskreisen und „der Gesellschaft“.

Gerade für Partnerschaften sind Kinder ein massiver Einschnitt, der häufig dazu führt, in ein deutlich traditionelleres Rollenbild zu verfallen, als es vorher der Fall war und als beide Partner es sich vorher gewünscht hätten. Zwar ist vieles besser geworden, was die Präsenz von Vätern in Familien angeht, aber vieles bleibt eben dann doch an den Müttern hängen – vor allem die „unsichtbaren“ Aufgaben. Diese und andere Dynamiken innerhalb einer Partnerschaft mit Kind(ern) analysiert Lutosch sehr präzise und erfreulich anschaulich.

Ich malte mir aus, wie schön es wäre, an einem Dienstagmorgen beim Frühstück, genau dann, wenn das erste Glas Milch umkippt und klar wird, dass es kaum noch möglich ist, pünktlich zum Morgenkreis im Kindergarten zu sein und auf der Arbeit keine neuen Minusstunden anzusammeln – genau in diesem Moment also mit freundlichem Nicken die Küche zu verlassen. Nicht etwa mit schlechtem Gewissen, sondern erfüllt von der Wichtigkeit der Aufgaben und Kämpfe, die vor mir liegen. Mit der Bewunderung und Dankbarkeit meines Ehemannes im Rücken, gehe ich also in die Welt: darf gestalten, mich entfalten, mich messen und entwickeln.

Heide Lutosch – Kinderhaben, Kapitel „Patriachin“

Darüber hinaus geht sie aber auch auf scheinbare Randaspekte des Mutterseins ein. Etwa der Frage, warum es der Müttergeneration vor der heutigen Müttergeneration einfacher gelang, Kinder sauber, gut gekleidet und gut gelaunt zu einer Familienfeier mitzubringen. Klar, viele Mütter arbeiteten damals nicht. Damit waren sie oft nicht glücklich, aber für so etwas hatten sie mehr Zeit. Statt das so zu akzeptieren, wird auch von den heutigen Müttern von Verwandten und auch sich selbst erwartet, dass die Kinder sauber, gut gekleidet und gut gelaunt auftauchen. Das ist an einem Freitag Abend nach einer 30-Stunden-Woche aber ungleich schwieriger. Das sorgt für Verzweiflung.

Eine Frau, die ihren eigenen Gedanken nachhängt, ihre Ruhe haben will, sich nicht unterbrechen lässt, schweigsam ist, die Tür zumacht, liest, sich konzentriert, sich voll und ganz wie eine Erwachsene verhält, über ihre eigenen Themen spricht, an ihr Fortkommen denkt, an ihr Vergnügen, gar an Sex – das alles ist schon verstörend genug. Aber eine Frau, die all das in Anwesenheit ihrer Kinder tut und es auch noch freimütig vor sich und anderen zugibt, ist… ein Affront, ein Tabubruch, ein Ding der Unmöglichkeit. Nun ersetze man das Wort „Frau“ in den letzten beiden Sätzen durch das Wort „Mann“ – und es wird deutlich, wie weit der Weg noch ist.

Heide Lutosch – Kinderhaben, Kapitel „Sich ändern“

Ich möchte den Essay wirklich jeder und vor allem jedem in einer heterosexuellen Paarbeziehung ans Herz legen, der Kinder hat oder Kinder haben will. Lutoschs Analyse ist direkt aber empathisch. Männer können von ihr noch einiges lernen und Frauen werden sich hoffentlich etwas besser verstanden fühlen.

The Consultant (Serie)

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Wenn das hier ein Test gewesen sein soll, ob es für das Gelingen einer Serie ausreicht, Christoph Waltz über acht Episoden beim Spielen zusehen zu wollen – dann muss man sagen: Test geglückt. Dem Mann zuzusehen, macht natürlich einfach Spaß. In der Amazon-Serie „The Consultant“ hat er zudem eine Rolle maßgeschneidert bekommen, in der er das ganze fies-amüsiert-bedrohlich-charmante Christoph-Waltzige so richtig ausspielen kann. 

Potential gibt es genug. Sowohl „Berater“ als auch die „moderne Arbeitswelt“ sind ja zwei Themen, die sich für Satiren wunderbar eignen. Leider bleibt aber außer Christoph Waltz als Regus Petoff in dieser Serie alles andere so ein bisschen flach. In der Games-Bude, in der Berater Petoff aufschlägt, arbeiten natürlich arbeitsscheue Kiffer im Homeoffice, die er dann erstmal „richtig“ arbeiten lässt. Dann muss noch ein paar Leute feuern und Budgets streichen. Und schon läuft der Laden wieder. Haha, schmunzel, schmunzel.

Aber in Petoff steckt noch etwas teuflischeres. Er wird im Laufe der Serie immer intriganter, hetzt Kollegen gegeneinander auf und schreckt auf vor Mordkommandos nicht mehr zurück, als der verpeilte Coder Craig sich seiner Aura entziehen kann und versucht herauszufinden, wer der Typ eigentlich ist, der da jetzt das Unternehmen führt. Im Laufe der Serie wird klar, dass die Beratungsleistung, die Petoff anbietet, immer erst dann beginnt, wenn der oder die CEO verstirbt. 

Er verspricht, sich um den postmortalen Ruhm der Geschäftspartner zu kümmern. Der Tod folgt dann ziemlich bald. Ein wahrhafter Teufelspakt, nach dem es nicht mehr so viel zu deuteln gibt, um wen es sich bei „Regus Petoff“ handelt – wenn man die subtileren Hinweise, wie das eingespielte „Devil in Disguise“ von Elvis Presley noch nicht so richtig mitbekommen hat.

Die acht Folgen a 30 Minuten schnell geguckt. Christoph Waltz liefert eine 1-A-Performance ab. Der Rest ist dann auch so ein bisschen egal.

(The Consultant läuft auf Amazon Prime)